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"Die Mehrheit war überrascht, wie schnell sich die Veränderung vollzogen hat" - Im Interview mit Dr. Burkhard Bensmann über hybride Arbeitsmodelle und wie sie gelingen können

Vor fast genau zwei Jahren hat uns die Pandemie vor ungeahnte Herausforderungen gestellt. Vor allem in der Arbeitswelt hat sich gezeigt, dass aktuelle Bürokonzepte in vielen Fällen nicht krisensicher sind. Wo immer es möglich war, wurden die Mitarbeitenden ins Home Office versetzt. Viele Büroflächen waren während des Lockdowns ganz oder nahezu vollständig verwaist. In Zukunft müssen Bürokonzepte daher neu gedacht werden. Insbesondere Hybridmodelle werden für viele Firmen zukünftig zur Unternehmensstrategie gehören

Wir haben mit Dr. Burkhard Bensmann gesprochen. Als Berater und Executive Coach hat er in den vergangenen Jahren zahlreiche Führungskräfte in Veränderungssituationen unterstützt. Welchen Chancen und Risiken sich für Unternehmen bei der Einführung hybrider Arbeitswelten ergeben und wie Mitarbeitende ihr volles Potenzial ausschöpfen können, erklärt er uns im ersten Teil des Interviews.

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"Der Wechsel zu hybriden Arbeitsweisen kann anfangs herausfordernd sein und doch war der Zeitpunkt für eine grundlegende Anpassung der Kultur für Unternehmen nie besser. Woran liegt das?"

Das gilt es noch aufzuarbeiten. Meine Beobachtung ist, dass Corona der große Beschleuniger war, was viele auch bestätigen. Unternehmer und Geschäftsführer - männlich wie weiblich - konnte ich grob in zwei Gruppen einteilen: diejenigen, die in der Krise fast schon aufgeblüht sind und die Veränderung zu alternativen Arbeitsweisen konsequent beschleunigt haben. Und diejenigen, die den Wandel eher behindert, zumindest aber herausgezögert haben. Letztlich hatten fast alle keine Wahl: wir waren gezwungen, gemeinsam schnell zu lernen und unsere Arbeitsweisen zu adaptieren. Meine Beratungs- und Coachingkunden zählen durchweg zu der ersten Gruppe. Allerdings waren diese auch in der Mehrheit überrascht, wie schnell sich die Veränderung vollzogen hat.

 

"Veränderung ist das richtige Stichwort. Oftmals werden Arbeitsabläufe weniger vorhersehbar. Vertrauen und Zugehörigkeit müssen kultiviert werden. Welche Chancen und Risiken bieten sich einer Organisation bei der Einführung eines hybriden Arbeitsmodells?"

Ich sehe drei Ansätze: Menschen, Prozesse und Strukturen. Menschen wollen sich eingeladen fühlen, wollen den - hoffentlich vorhandenen - Nutzen hybrider Modelle verstehen, wollen mitgestalten, wollen einen Vertrauensvorschuss. Schaffe ich diese Voraussetzungen, steigen die Chancen auf eine erfolgreiche Umsetzung. Prozesse: Ich hatte oben erwähnt, dass zumindest die Führungspersonen die zukünftige Wertschöpfung im eigenen Unternehmen erkennen und durch entsprechende Prozesse gestalten müssen. Ein jeder Mitarbeiter bzw. eine jede Mitarbeiterin sollte für sich erkennen können, wo der eigene Beitrag zur Wertschöpfung innerhalb welcher Prozesse liegt - das muss nachvollziehbar sein, sonst gibt es keine Zugehörigkeit und kein Engagement. Und zuletzt braucht ein Unternehmen angemessene Strukturen, die Orientierung und Verlässlichkeit geben. Wie fix oder fließend diese Strukturen sind, ist von diversen Faktoren abhängig, unter anderem von der Branche der Geschichte, der Kultur des Unternehmens.
 

"Was können Führungskräfte tun, damit Ihre MitarbeiterInnen in dieser neuen Arbeitsform ihr ganzes Potenzial entfalten können?"

Wenn wir vom „hybriden Arbeiten“ sprechen - meinen wir alle dann dasselbe? Auf den ersten Blick ist es die - wie auch immer gestaltete - Verbindung von: Ich arbeite im Büro oder zu Hause. Aber eigentlich ist hybrides Arbeiten viel mehr - es ist ortsunabhängiges Arbeiten. Im englischen ist die Arbeit außerhalb des klassischen Büros das „remote work“. In jedem Fall brauchen Führungskräfte ebenso wie Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter zusätzliche und ergänzende Fähigkeiten, um wirksam und einigermaßen zufrieden in dieser neuen Arbeitswelt zurecht zu kommen.


"Welche sind das insbesondere?"

Wenn ich über längere Zeiträume vom normalen Bürokontext abgekoppelt werde, fallen mir zahlreiche soziale Aspekte des Büros erst auf. Viele haben berichtet, dass sie sich endlich wieder auf „deep work“ fokussieren und Ihr Arbeitspensum in kürzerer Zeit erfüllen konnten. Andererseits haben Führungskräfte und Mitarbeitende an sich selbst beobachtet, dass sie regelrecht vereinsamen. Wir brauchen für neue „fließende“ Modelle der Arbeit daher neue Rituale des sozialen Umgangs, die in Grenzen auch digital funktionieren. Das können z.B. Achtsamkeitsmomente und bewegte Pausen in Video-Konferenzen sein. Wir benötigen darüber hinaus Führungskräfte, die zu einem remote leadership in der Lage sind - und sich vor allem Zeit dafür nehmen. Und letztlich müssen wir in die Weiterbildung der Mitarbeitenden investieren, damit deren Fähigkeiten der Selbstorganisation und Selbstführung gesteigert werden. Hier sind große Nachholbedarfe. Und nur so, um auf die oben gestellte Frage noch einmal einzugehen, können Mitarbeitende auch in diesen neuen hybriden Arbeitswelten ihr Potenzial entfalten.


"Herr Bensmann, vielen Dank für Ihre Zeit und bleiben Sie gesund!"

Foto: Jelinski / Steelcase

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